DA.SEIN

von Elisabeth Vorderwülbecke, 2013

Die Kamera steht immer wieder am gleichen Ort. Motiv- und Formkonstanten bestimmen die Fotografien. Wie bei einer objektivierten Versuchsanordnung sind die Grundbedingungen für die Aufnahmen festgelegt. Die Horizontlinie liegt in der Bildmitte und unterteilt, abhängig von Licht- und Wetterverhältnissen, das Bild mal scharf, mal weich-fließend. Der Blick fixiert eine menschenleere Landschaft auf Hallig Gröde. Die Landschaft zeigt sich im unterschiedlichem Gewand: im Herbstkleid mit Priel, Wermut und Queller, im November mit dem in Nebel getauchten, grünen Marschboden oder im Winter mit einer von Gräsern durchbrochenen Schneedecke. Der Himmel gibt sich mal monochrom, mal dramatisch. Am Horizont erscheinen hin und wieder schemenhaft Windkraftanlagen vor der nordfriesischen Küste oder Warften wie Zeichen für die Bewohner.

Die Fotografien verlieren sich nicht im Schwelgerischen, Romantischen, feiern nicht das Sublime. Im seriellen Konzept liegt Distanz und Messbarkeit. Das Prinzip der Serie entspricht der Hallig-Landschaft. Es ist eine Natur von konzeptueller Kraft mit ihrer zyklischen Wiederkehr der Gezeiten. Veränderung ergibt sich aus der immer neuen Konstellation von Konstanten: Ebbe, Flut, Tag und Nacht, Jahreszeiten, Wasser, Himmel, Licht, Landschaft, Vogelzug. Temporäres enthält Dauer. Die Kamera hält atmosphärische Wechsel, Verschiebung, kein spektakuläres, momentanes Naturschauspiel fest. Die Fotografien vermessen die Welt der Hallig Gröde nicht geographisch, sind nicht als zeitlich zu fixierende Dokumentation angelegt.1 Sie notieren das Gleiche neben dem Gleichen, das nicht deckungsgleich ist, fangen die »Modernität des Dauerhaften«2 ein.

Fürstenaus Videos zeigen, in Analogie zu den Fotografien, minutenlang, still die Elemente der Natur. Die Variation der Meeresoberfläche thematisiert die Serie der reinen Wasservideos in ihrer schaukelnden Konstanz. Immer zur Hochwasserzeit, d.h. jeweils um ungefähr eine Stunde verschoben, hat Annabelle Fürstenau am gleichen Standpunkt die Wasseroberfläche gefilmt. Lichtbrechung, Meeresfarbe, Wellenstruktur oder Schaumblasen variieren bei gleichem Grundmuster nahezu unendlich. Eine Reihenfolge gibt es nicht. Annabelle Fürstenaus minimalistische Videos wirken mit ihrem Verzicht auf akustische Elemente und ihrer konzentrierten Zeitlichkeit wie Loops oder Filmstills und weisen auf das fotografische Bild zurück. Das Gleichmaß der Videos kann Ruhe oder Unruhe evozieren. Das Gefühl »mitten drin« zu sein setzt aber Geduld voraus, erschwert wird es durch die Begrenzung des Formats.

Ähnlich ihrer langjährigen, quasi-wissenschaftlichen Serie »Blüten/Blätter« seziert Annabelle Fürstenau mit der Kamera systematisch die Landschaft, lotet den kleinen Kosmos der Hallig Gröde in ihrer immer wieder anderen Gleichmäßigkeit aus. Bedingung des künstlerischen Schaffens ist der spezifische Ort, ist eine Grundwärme für diesen Ort, ein Dasein. Es ist kein flüchtiges »Heute hier, morgen dort«, kein »Ich bin mal weg«, sondern ein »Ich bin da«.
Fürstenaus Arbeiten sind subtile, zarte Behauptungen voller Poesie und eine Absage an die Mentalität sich Natur erklär- und verfügbar zu machen. Diese stille, nachhaltige »Rebellion« berührt unaufdringlich in einer Zeit der Entfremdung und hinterfragt leise unser »Alltagsgezappel«3 ohne belehrend zu sein.

veröffentlicht in:
Katalog zur Ausstellung »Gottfried Brockmann Preis 2013«, Stadtgalerie Kiel, 2013

  • 1 Annabelles Fürstenaus künstlerischen Mittel weisen in eine lange Tradition der seriellen Landschaftsaufnahmen zurück, zu der Courbets Gemäldefolge der Meeresküste bei Trouville, Monets Heuschoberserie oder auch Thadeus Holownias fotografische Arbeit »Jolicure Pond« und Michael Ruetz’s Serie »Timescape 817« gehören. Vgl. u.a. Katalog der Hamburger Kunsthalle: Monets Vermächtnis. Serie ... Ordnung und Obsession, Ostfildern-Ruitz 2001.
  • 2 Vittoria Magnago Lampugnani, Die Modernität des Dauerhaften. Essays zu Stadt, Architektur und Design. Berlin 1995
  • 3 Rainer Bessling, in: Keine Zeit für Eile, Sebastian Gräfe, Kunstverein Cuxhaven, Cuxhaven 2008